Filmkritik

Di 29. Dezember 19.30 Uhr (evtl. auch nachmittags 16:30 Uhr)
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Brot

Dokumentarfilm

Regie: Harald Friedl

Österreich/Deutschland 2020 | 94 (TV: 85) Minuten | ab 6

Um das Grundnahrungsmittel Brot wird seit einigen Jahren zunehmend ein Kult gemacht. Doch obwohl die traditionelle Handwerksbäckerei eine Renaissance erfährt, kaufen die meisten Menschen ihr tägliches Brot im Supermarkt. Der Dokumentarfilm blickt in kleine Bäckereibetriebe, wo noch mit den Händen geknetet und dem „Gesang“ der Kruste gelauscht wird, schaut aber auch in die Produktionshallen großer Konzerne, wo mit neuester Technologie und künstlichen Aromen Brotimitate für den Massenmarkt entstehen.

Langkritik:

„Das ist unsere Urmutter“, erklärt ein junger Bäcker und zeigt auf einen Teigklumpen in einem weißen Plastikeimer. Seit 20 Jahren macht der Familienbetrieb der Familie Öfferl im niederösterreichischen Gaubitsch daraus seinen Sauerteig. Nachdem die Bäckerei durch die Konkurrenz der billigen Supermarktbrote zeitweilig am Rande des Ruins stand, stellte sie auf handwerkliches Backen und biologische Zutaten aus der Region um. Wenn sie von ihrem Brot sprechen, kommen die Öfferls fast schon in den Bereich der Magie: Es sei doch ein Wunder, wie aus einem Klumpen Teig im Ofen etwas entstehe, das so „geil“ schmecke.

In der Großbäckerei Harry-Brot purzeln derweil 32 000 Brötchen in der Stunde aus dem Backofen, um auf unendlichen Backstraßen weiterzufahren. Der Geschäftsführer Hans-Jochen Holthausen, Spross einer Familiendynastie, steht mit weiß bekittelten Kollegen vor einer gigantischen Fließbandmaschine und lobt das „schöne Produkt“. Er spricht von Spitzentechnologie, Brotmoden, Volumen und Leistung, nennt Umsatzzahlen in Milliardenhöhe: „Wir waren „first-mover“ bei Sandwiches, ‚first-mover’ bei Produkten zu Fertigback“. Holthausen gilt als Erfinder des „Prebake“-Systems, das die Backwelt komplett umgemodelt hat.

Brot-Möbel für Salvador Dalí

Der oberösterreichische Filmemacher Harald Friedl hat Filme über Glück, Afrika und Wilderer gemacht. Hier widmet er sich einem „essentiellen Bestandteil unserer Ernährung“, wie es die Enkeltochter der Pariser Traditionsbäckerei Poilâne nennt. Ihr Vater Lionel gehörte zu den berühmtesten Bäckern der Welt und kreierte für Salvador Dalí sogar eigens Möbel aus Brot. Der Betrieb backt bis heute in uralten Holzöfen, wie man sie auch auf historischen Darstellungen findet.

Friedl streift die sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Bedingungen von Brot. Er sucht einen Biobauern auf, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, und eine Professorin für Umwelttoxologie, die über die gesundheitlichen Folgen industrieller Backwaren forscht.

Handwerk versus Massenproduktion

Der Film aktiviert dabei vor allem die Dialektik von Bäckereihandwerk und Massenproduktion – auch in der kontrastierenden Montage. Tatsächlich ist die Kluft der beiden Bereiche in den letzten Jahren immer größer geworden. Auf der einen Seite arbeiten die großen Unternehmen mit immer ausgefeilterer Technologie – Enzyme, Backmischungen, Aromaprofile, Maschinen – an kostengünstigen Imitaten, auf der anderen Seite besinnen sich kleine Traditionsbäckereien, aber auch neue kleine Betriebe auf das traditionelle Handwerk.

Christophe Vasseur, Betreiber einer Biobäckerei in Paris, spricht vom Backen als einem Prozess, der den Einsatz aller Sinne erfordere. Die Großbäckereien würden das Mehl wie Waschmittel in die Kübel kippen. Dabei werde der wichtigste Aspekt außer Acht gelassen. „Den Teig beobachten! Er ist etwas Lebendiges, Fragiles“. Im belgischen Konzern Puratos Group, der hoch technologische Backmittel produziert und 53 Fabriken weltweit unterhält, herrscht dagegen die Aura eines Science-Fiction-Films. Das Unternehmen arbeitet nicht nur an der Reproduktion der „Seele“ eines handwerklichen Brotes, wie es ein PR-Mitarbeiter einmal nennt. Das aktuellste Projekt befasst sich mit der Entwicklung eines Brots, das die Menschen in den Kolonien auf dem Mars essen können.

Brot & soziale Klasse

„Brot“ hat durchaus seine „Food-Porn“-Momente. Immer wieder gibt es Blicke in Teigschüsseln und Trichter von Knetmaschinen, auf Hände, die auf bemehlten Oberflächen Teig schlagen und kneten – oder ihn wie ein Lebewesen berühren. Man freut sich auch, wenn das knusprige Brot aus dem Ofen kommt und dem „Gesang“ der Kruste gelauscht wird. Eher unausgesprochen steht im Raum, dass die Wahl eines hochwertigen Brots letztlich an den Klassenschranken scheitert.

Esther Buss, FILMDIENST