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Filmkritik

Di 19. September 17.30 und 20 Uhr
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Die göttliche Ordnung

Historienfilm Komödie

Regie: Petra Volpe

mit: Marie Leuenberger (Nora), Max Simonischek (Hans), Rachel Braunschweig (Theresa), Sibylle Brunner (Vroni), Marta Zoffoli (Graziella), Bettina Stucky (Magda), Peter Freiburghaus (Gottfried), Therese Affolter (Frau Dr. Wipf), Ella Rumpf (Hanna), Nicholas Ofczarek (Werner), Sofia Helin (Indra)

Schweiz, 2017, ab 6, 96 min.

Anfang der 1970er-Jahre wandelt sich eine Hausfrau aus einem Dorf im Appenzellischen unter dem Einfluss der Debatte um das Frauenwahlrecht in der Schweiz zur sanften Streiterin für die Sache. Doch ihr öffentliches Engagement sorgt sowohl im Dorf als auch in ihrer Ehe für Spannungen. Hintersinnige Tragikomödie, die auf authentischen Erlebnissen beruht, was sich in der stimmungsvollen Verdichtung von Geist und Atmosphäre der damaligen Zeit manifestiert. Die erfrischende, ausgesprochen unterhaltsame Lektion in Sachen direkter Demokratie erzählt nebenbei die Geschichte der sexuellen Revolution in der Schweiz. - Sehenswert

Langkritik:

Dies ist keine bolzengroße Heldenmär, sondern eine charmant-bescheidene „Hausfrauengeschichte“, darüber hinaus eine kleine Lektion in Sache Schweizer Geschichte und direkter Demokratie. Gleichwohl wurde „Die göttliche Ordnung“ einer der erfolgreichsten Schweizer Filme der jüngsten Zeit – womöglich wegen seiner „Wahrhaftigkeit“.

Obwohl die Filmemacherin Petra Volpe die Geschichte frei erfunden hat, beruht der Film auf historischen Ereignissen. Selbst der pointierte Titel soll nicht einem Gedankenblitz entsprungen, sondern das Ergebnis ausführlicher Recherchen sein. Im Film stammt das saloppe Votum aus dem Mund einer Frauenstimmrechts-Gegnerin: In der „göttlichen Ordnung“, die in der Schweiz herrschte, bevor am 7. Februar 1971 per Volksabstimmung die Vorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts angenommen wurde, war der Mann von Rechts wegen das Oberhaupt der Familie, Frau und Kinder waren ihm unterstellt. Die Schweiz war damit im internationalen Vergleich eines der späteren Länder, die das Frauenstimmrecht einführten.

Für die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen kämpft man in Helvetien auch heute noch, etwa bei den Löhnen. Einen winzigen Aspekt darf man bei dieser Diskussion aber nicht außer Acht lassen, was im Film ein Spur zu sehr nebenbei erwähnt wird: Anders als in nahezu allen anderen Staaten war es in der Schweiz nicht ein Parlament, das dieses Stimmrecht beschloss; vielmehr war es die Mehrzahl der stimmberechtigten, d.h. der volljährigen, männlichen Bevölkerung mit Schweizer Pass, die zustimmte und damit auf Jahrhunderte alte Privilegien verzichtete. Darauf kann man durchaus ein wenig stolz sein.

Im Zentrum steht die 36-jährige Nora Ruckstuhl, die Marie Leuenberger vorzüglich mit der bescheidenen Courage und der unerschrocken-charmanten Verschmitztheit einer einfachen Frau interpretiert. Nora ist glücklich mit Hans verheiratet. Das Paar lebt in einem Dorf im Appenzellischen, auf dem Land, wie man in der Schweiz sagt, es hat zwei Söhne im Primarschulalter, Luki und Max. Mit im Haushalt lebt Hans’ Vater: ein Patriarch alter Schule, besserwisserisch, nörgelnd, für sein Alter aber geistig und körperlich fit; er liest heimlich Sex-Heftchen und rührt im Haushalt nie einen Finger. Seine Schwiegertochter behandelt er wie eine bessere Dienstmagd; beim Essen in der Großfamilie, zu der auch Hans’ Bruder, der den familieneigenen Hof übernommen hat, dessen Frau und Tochter gehören, will er stets den Ton anzugeben.

Die Welt, sagt Nora, die auch als Erzählerin figuriert, habe damals, im Jahr 1968 mit Woodstock, Black Power und Frauenemanzipation, in Feuer gestanden, doch im Dorf sei davon nichts zu spüren gewesen.

Wenige Wochen vor der Abstimmung gerät Nora im Nachbarsdorf zufällig an einen Stand von Befürworterinnen des Frauenstimmrechts und wird mit einschlägiger Literatur eingedeckt: Abstimmungsunterlagen, das Schweizer Eherecht, Betty Friedans „Weiblichkeitswahn“. Später entdeckt sie in einer Zeitschrift ein Stelleninserat jenes Reisebüros, bei dem sie vor ihrer Hochzeit eine Lehre absolvierte. Jetzt, da ihre beiden Kinder zur Schule gehen, möchte sie wieder arbeiten. Doch Hans erwidert, dass das nicht in Frage komme, was würden denn die Leute im Dorf sagen? So ergibt sich das Eine aus dem Anderen. Sie habe sich doch bisher noch nie für Politik interessiert, bekommt Nora öfters zu hören, und antwortet dann trotzig: „Jetzt aber schon!“

So beginnt sich Nora zu emanzipieren. In der alten Vroni und der zugewanderten Graziella findet sie Verbündete, mit denen sie, während Hans vorübergehend Militärdienst leisten muss, zu einer Frauendemo nach Zürich reist. Tags darauf findet im Gemeindesaal eine Abstimmungsversammlung statt. Der Film erzählt, wie sich im Dorf die Diskussion anbahnt, sich Lager bilden, die Stimmung aufgeheizt wird, immer mehr Frauen sich auf die Seite der Befürworterinnen schlagen und schließlich in den Streik treten. Sollen die Männer doch schauen, wie sie mit Haushalt und Kindern zurechtkommen. Irgendwann fliegen nicht nur die Fetzen, sondern auch Steine. Dabei ist Frauenrecht doch Menschenrecht.

Petra Volpe hat dem Volk auf den Mund und in die Seele geschaut und verdichtet stimmig und stimmungsvoll Zeit und Geist. Exemplarisch reichert sie Noras Geschichte mit den Schicksalen ihrer Freundinnen und Bekannten an: ihrer unglücklich verheirateten Schwägerin, deren heftig pubertierender Tochter, die ins Erziehungsheim verfrachtet wird, aber auch der „Dorfkönigin“, die sich in der Männergesellschaft wacker zu behaupten weiß und ihren Geschlechtsgenossinnen in den Rücken fällt.

Quasi nebenbei erzählt der Film auch die Geschichte der sexuellen Revolution, was ihm eine erfrischende Dreistigkeit verleiht und ihn zum Schmunzeln liebenswert macht. Wenn die drei Dörflerinnen in Zürich an einem Sex-Workshop teilnehmen, wo sie die Tiger, Füchse und Schmetterlinge zwischen ihren Beinen entdecken, ist „Die göttliche Ordnung“ sogar eine köstliche Gaudi. Ein kleiner, großer, starker Schweizer Frauenfilm.

Irene Genhart, FILMDIENST 2017/16