Komödie
Regie: Paolo Virzì
mit: Valeria Bruni Tedeschi (Maria Beatrice Morandini Valdirana), Micaela Ramazzotti (Donatella Morelli), Valentina Carnelutti (Fiamma Zappa), Tommaso Ragno (Giorgio Lorenzini), Bob Messini (Pierluigi Aitiani), Sergio Albelli (Torrigiani), Anna Galiena (Luciana Morelli), Marisa Borini (Signora Morandini Valdirana), Marco Messeri (Floriano Morelli), Roberto Rondelli (Renato Corsi)
Italien/Frankreich, 2016, ab 12, 116 min.
Zwei grundverschiedene Frauen, die eine bipolar, die andere eine Borderline-Persönlichkeit, leben in einer psychiatrischen Anstalt und halten sich jene Wahrheiten vor, die jede für sich allein ignoriert. Sie nutzen eine Möglichkeit zur Flucht und reisen durch die sommerliche Toskana, was sie mit wichtigen Stationen ihrer Vergangenheit konfrontiert. Eine ebenso humorvolle wie lebensbejahende Tragikomödie, die die Schnittmenge von verrückt und normal erkundet. Getragen wird der Film von seinen zwei überragenden Hauptdarstellerinnen, die die zwischen ernsthafter Auseinandersetzung und sprühendem Buddy Movie pendelnde Handlung verschwenderisch mit emotionalem und komödiantischem Zündstoff versehen. - Sehenswert
Die eine sagt nichts, die andere lügt so wortreich wie möglich. In diesem Gegensatz liegt die einzige Gemeinsamkeit der beiden Frauen Donatella und Maria: Jede schiebt weg, was ihr an Emotionen nicht erträglich erscheint. In allem anderen könnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Donatella kennt das Sozialamt, Maria die oberitalienische Prominenz; Donatella will sterben, Maria will Liebe, Parties, Rache für das Unverständnis, von dem sie sich umgeben fühlt. Jedes Mal, wenn die zwei zusammentreffen, muss man eine Art Knallgasreaktion befürchten. Trotzdem freunden sie sich an und tragen diesen Film mitten hinein in ihre Gefühle, denn gegenseitig halten sie sich die Wahrheiten vor, die jede für sich allein ignoriert.
Donatella und Maria, umwerfend gespielt von Micaela Ramazzotti und Valeria Bruni Tedeschi, sitzen in der Psychiatrie. Wobei das in diesem Fall ein Landgut in der Toskana ist, großzügig, mit viel Bewegungsfreiheit, zumindest innerhalb der Gartenmauern. Dort begegnen sich die beiden, von dort bricht die eine aus und schleppt die andere mit, was für lange Zeit die durchgängige Konstellation bleibt: Maria redselig vorneweg, Donatella missmutig einen Schritt hinterher. Sie funktionieren erstaunlich perfekt in der Welt jenseits der Anstalt, denn als Kombination verfügen sie über genug hochstaplerisches Geschick, um sich Transportmittel, Valium und schicke Abendessen zu erschleichen. Ihre Flucht entwickelt sich zu einem kleinen Road Movie rund um Viareggio, wobei sie immer wieder auf Menschen aus ihrer Vergangenheit treffen. Das legt allmählich jene Geschichten frei, die beide irgendwann nicht mehr aushalten konnten, etwa die Liebe zu einem Gangster, ein verlorenes Kind, miese Eltern, immer Depressionen.
Regisseur Paolo Virzi inszeniert einerseits einen Film über Verrücktheit, über Menschen, die aus ihrem normalen Leben heraus und in Betreuung müssen. Wie in jedem guten Film dieser Art weist Virzi darauf hin, dass die Grenze zwischen dem, was als normal gilt, und dem, was verrückt sein soll, schwer zu bestimmen ist. Der Großteil der Protagonisten, die hier als Vertreter der Realität agieren, benehmen sich womöglich irrer als Donatella und Maria. Es ist eher das Unglück, was die beiden Frauen vom Rest der Welt trennt, denn sie können sich nicht dickfellig einrichten mit ihren Leben, sondern sie verzweifeln darüber. Das ist der Punkt, an dem Virzi vom konventionellen Ablauf ähnlicher Filme abweicht. Er zeigt die Psychiatrie als hellen und als düsteren Ort, aber er verteidigt ihren Nutzen. Er und mit ihm am Ende auch Donatella und Maria halten fest, dass es Hilfe gegen ihre Traurigkeit gibt, und dass es nicht verkehrt sein kann, diese anzunehmen.
Andererseits schwebt Virzi ein Buddy-Movie über zwei Frauen vor, die von einer anfangs bloß zweckmäßigen Verbindung in eine große Freundschaft hineinstolpern. Man kann während ihrer Reise zusehen, wie die Energie sich abwechselnd von der einen auf die andere überträgt, und dabei sieht man auch, wie ihr Zustand emotionaler Verwirrung allmählich der Klarheit weicht. Je mehr die Frauen sich gegenseitig zwingen, ihr bisheriges Verhalten zu betrachten, umso mehr finden sie tatsächlich zu der Erkenntnis, was sie künftig tun oder lassen sollten. Das ist zwischendurch recht anstrengend, weil die Frauen aggressiv, störrisch und keiner Peinlichkeit abgeneigt sind – doch genau diese Abwesenheit von Vernunft bewirkt auch, dass man oft mit ihnen lacht und manchmal auch mit ihnen weint.
Doris Kuhn, FILMDIENST 2016/26