Filmkritik

Di 6. Juni 2023
12.jpg

Der Geschmack der kleinen Dinge

Drama

Regie: Slony Sow

mit: Gérard Depardieu (Gabriel Carvin) · Kyôzô Nagatsuka (Tetsuichi Morita) · Pierre Richard (Rufus) · Rod Paradot (Nino Carvin) · Sandrine Bonnaire (Louise Carvin)

Frankreich/Japan 2022 | 107 Minuten | ab 6

Ein angesehener französischer Sternekoch hat sich durch die Hingabe an seinen Beruf vom eigentlichen Leben entfernt. Nach einem Herzinfarkt büxt er nach Japan aus, um das Geheimnis von Umami, der fünften Geschmacksrichtung des Gaumens, zu ergründen. Seine Reise erweist sich dabei als eine Art Heilkur – Ehe- und Familientherapie inbegriffen.

Langkritik:

„Man muss so einen Körper erst mal vom Fleck bringen“, sagt Gabriel Carvin, der berühmteste Chefkoch Frankreichs betrübt. Während sein Körperumfang stetig anwächst, stagniert sein Leben schon lange. Auch die Verleihung des dritten Kristallsterns, den sein Nobellokal „Monsieur Quelqu’un“ soeben erhalten hat, ändert nichts an seinem Gemütszustand. Gabriel ist ein leicht reizbarer Trauerkloß. Die üppigen Polster um den runden Leib gehen schon weit über das hinaus, was man im Allgemeinen Kummerspeck nennt. Die eigene Familie hat er in der exklusiven Hingabe ans Kochen verschlissen, seine Frau hat mit einem wichtigen Restaurantkritiker eine Affäre. Glücklich ist Gabriel nur über seinen Kochtöpfen, wie er sagt. Aber seit einiger Zeit ist nicht einmal das noch der Fall.

Der Schlüssel zum Glück

Frankreich und Japan sind in vielerlei Hinsicht (nicht nur kulinarisch) unterschiedliche Planeten. „Der Geschmack der kleinen Dinge“ bringt beide zusammen, allerdings meist in plumpen Kontrasten. Schweinsfuß vom Porc de Bigorre, entbeint, Stopfleber, kandierte Schalotten, gegrillte Pilze und schwarze Trüffel stehen dem Purismus der japanischen Küche entgegen. Dort regiert die Betonung auf dem Eigengeschmack der einzelnen Zutaten, der etwa in einer „simplen“ Ramen-Suppe zum Ausdruck kommt. „Umami“, wie der Film von Slony Sow im Original heißt, bezeichnet in „Der Geschmack der kleinen Dinge“ weit mehr als die fünfte, etwas geheimnisvolle Geschmacksnote. Für Carvin ist sie der Motor, seinen fülligen Leib in Bewegung zu setzen und wieder Zugang zu seinen verschütteten Gefühlen zu bekommen: ein Schlüssel gar zum Glück.

Nach einer Bypass-Operation in Folge eines Herzinfarkts und einem durch ein Pendel ausgelösten Erinnerungsflash fliegt Carvin kurz entschlossen nach Japan. Er möchte dort einen ehemaligen Kontrahenten ausfindig machen, der ihn bei einem Kochwettbewerb vor 42 Jahren mit einer einfachen Nudelsuppe auf den zweiten Platz verwies. In der Küche des „Monsieur Quelqu’un“ ringt derweil der älteste Sohn mit seinen Minderwertigkeitskomplexen, die sich durch die Ankunft einer wichtigen Food-Bloggerin erst recht frei entfalten. Der zweite Sohn reist dem Vater nach Japan hinterher und kuriert bis zum Wiedersehen im Restaurant noch schnell eine an Hikikomori leidende junge Frau. Es ist die Enkelin des genialen Ramen-Kochs.

Gekocht wird herzlich wenig

Das Beste, was sich über „Der Geschmack der kleinen Dinge“ sagen lässt, ist Gérard Depardieu in einem Kimono! Das kaftanartige Kleidungsstück steht ihm richtig gut und wirkt überraschend selbstverständlich an seinem Körper; selbst wenn er damit Fahrrad fährt, sieht es irgendwie würdevoll und gar nicht lächerlich aus. Tetsuichi Morita, der Nudelsuppenmeister, führt Carvin an allerhand entlegene Orte der Kulinarik, etwa zu einer auf einem Berg gelegenen Schweinezucht. Das ganze Umami-Projekt erweist sich für den französischen Koch schließlich als eine Art Heilkur – Ehe- und Familientherapie und Fusion-Effekte inbegriffen.

Erstaunlicherweise interessiert sich der Film fürs Kochen herzlich wenig. Nur selten wirft die Kamera einen Blick in einen Topf oder in eine Pfanne, und auch von der Zubereitung des Essens ist kaum etwas zu sehen. Auch die Ausgestaltung der Figuren gerät flach, und zu den kulturellen Unterschieden fallen Slony Sow nur die allermüdesten Witzchen ein. Gerahmt und erzählt wird die Geschichte von einem japanischen Geschäftsmann mit ähnlichen Workaholic- und Familienproblemen, der Carvin in einem Kapselhotel begegnet. Die engen Räumlichkeiten kommen dabei natürlich mit Depardieus Körperlichkeit in Konflikt. Letztlich aber schläft er dort ganz ausgezeichnet.

Esther Buss, FILMDIENST