Filmkritik

Di 1. Februar 17:15 und 19:30 Uhr
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Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (2021)

Drama

Regie: Detlev Buck

mit: Jannis Niewöhner (Felix Krull) · Liv Lisa Fries (Zaza) · David Kross (Marquis Louis de Venosta) · Joachim Król (Professor Kuckuck) · Maria Furtwängler (Madame Houpflé)

Deutschland 2021 | 114 Minuten | ab 12

Neuverfilmung des unvollendeten Romans von Thomas Mann um einen charmanten, gut aussehenden jungen Mann aus zerrütteten bürgerlichen Verhältnissen, dem durch sein Talent für falsche Identitäten Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich der Einstieg in die Sphäre der Reichen und des Adels gelingt. Die aufwändige Adaption wählt klug aus der Vorlage aus, entwickelt diese mit Blick auf ein zeitgemäßes Verständnis oft schlüssig weiter und bietet durchaus schauspielerische Glanzlichter. Im Versuch, die einzelnen Aspekte zusammenzuführen, ist der Film hingegen weniger erfolgreich und bleibt mitunter interpretatorisch unverbindlich.

Langkritik:

Ein Blick in einen gut gefüllten Champagnerkelch, es perlt, der schöne Schaum sammelt sich oben; dazu schwungvoll in erhabenen güldenen Lettern der Titel des Ganzen. So nimmt die Neuverfilmung von Thomas Manns beliebtestem und bis heute kommerziell sehr erfolgreichem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (Buch: Daniel Kehlmann, Regie: Detlev Buck) ihren Anfang. Da erhebt sich sofort die Frage: Wer braucht das noch im Hier und Heute, die Geschichte eines charmanten Schwindlers vor dem trügerischen Goldgrund der Belle Epoque, mit der für den Autor typischen, allenfalls mild-ironischen Gesellschaftskritik? Oder sollte es Crew und Darstellerriege gelungen sein, dem Stoff Relevantes auch für unsere Zeit abzugewinnen und dem Lauf der altbekannten Handlung noch verblüffende Wendungen zu entlocken?

Tiefe Vertrautheit mit der Gestaltung des Romans

Dreierlei fällt alsbald ins Auge: Detlev Buck schließt an seine Erfahrungen mit Literaturverfilmungen an („Die Vermessung der Welt“), nimmt sich diesmal aber einen veritablen Klassiker einer fernliegenden Epoche vor. Daniel Kehlmann, der sehr kluge und populäre zeitgenössische Autor, liefert dazu ein Drehbuch, das kein reiner Abklatsch des Romans ist, sondern eine tiefe Vertrautheit mit seiner Gestaltung und ebenso mit den Gründen für seinen Erfolg beweist. „Er kannte den ‚Krull‘ in- und auswendig und wusste genau, welche Elemente für die Fans des Romans unbedingt beibehalten werden sollten und wo man variieren konnte, um die Zeitlosigkeit, die die Figur des Felix Krull ja hat, hervorzuheben“, so Produzent Markus Zimmer.

Und schließlich haben wir es hier mit einem exquisiten Ensemble der hervorragendsten deutschsprachigen Schauspielerinnen und Schauspieler zu tun; das bürgt jedenfalls für Kabinettstückchen und kostbare Miniaturen des Darstellerischen (etwa Martin Wuttkes böses Porträt eines habgierigen Juwelenhehlers), nicht jedoch bereits für ein gelungenes Ganzes.

Felix Krull (Jannis Niewöhner) ist hier Ende des 19. Jahrhunderts ein charmanter, gut aussehender junger Mann aus zerrütteten bürgerlichen Verhältnissen, der früh die Lust an Verwandlung und Identitätentausch verspürt („Ich bin ein anderer“, bekennt er fast wie Rimbaud). Seine Beziehungen zu den weltlichen Autoritäten sowie zu anderen Menschen sind eigentümlich fließend und verbleiben zumeist an der Oberfläche. Einzig die Frankfurter Prostituierte Zaza (Liv Lisa Fries) wird so etwas wie seine intime Vertraute und „partner in crime“. Denn als er einen Job in einem Pariser Luxushotel annimmt, reist sie ihm flugs hinterher, um sich dort eine gute Partie zu angeln.

Während Felix eine amüsante Reihe kleiner erotischer Abenteuer durchlebt – unter anderem mit der mysteriösen, mannstollen Frau eines Klosettschüsselfabrikanten (Maria Furtwängler spielt Mme Houpflé dezent, mit quasi-königlicher Grazie und Herablassung) –, gabelt sie in der Hotelhalle den jungen Marquis de Venosta (David Kross) auf, der sich sogleich bis über beide roten Ohren in sie verliebt.

Die Standesschranken fordern ihren Tribut

Eine kurze Zeit sieht es so aus, als könnten die drei gemeinsam eine jener typischen französischen Filmromanzen à la „Jules und Jim“ erfahren. Doch die Realität der Standesschranken fordert ihren Tribut. Der Marquis soll von seiner Familie auf Welt- und Bildungsreise geschickt werden. Was tun? Felix rettet die Situation, indem er Venosta den kühnen Vorschlag unterbreitet, an seiner statt (und in seiner Person) zu fahren, während jener in Paris die Freuden der freien Liebe weiter genießen kann. Beraten von einem wunderlichen Wissenschaftler, Professor Kuckuck (präzise und sehr nah an Manns Text: Joachim Król), gelangt er bis Lissabon, wo er vor dem portugiesischen König (Christian Friedel) eine krönende Probe seiner zweifelhaften Kunst der Blendung und Verstellung ablegt. Die letzte Szene zeigt Felix an Bord eines Schiffes nach Südamerika; er schreibt einen Brief an Zaza. Die weitere Entwicklung verbleibt im Vagen, denn hier endet das Mannsche Romanfragment.

Gut gelingt Drehbuch und Regie die Disposition der ausgewählten Szenen. Dass dabei Felix’ Jugendzeit etwas oberflächlich abgehandelt wird – sei’s drum. Schnell ist man in Paris und damit im Zentrum der Handlung. Ebenso überzeugt weitgehend die zeitgemäße Behandlung der Nebenfiguren, die im Falle von Zaza und Felix’ Kollegen Stanko (Nicholas Ofczarek) geradezu einer Neuerfindung gleichkommt. Dieser ist folgerichtig nicht mehr nur ein jovialer Schlawiner, sondern ein gefährlicher Betrüger und Erpresser, und gibt dem Plot dadurch angemessenes Großstadtkolorit. Professor Kuckuck mahnt in einem Nebensatz zur Bewahrung der Schöpfung („das Klima“).

Jannis Niewöhner als Krull macht seine Sache sehr achtbar, bleibt der schwer zu fassenden Figur irgendwo zwischen Halbgott (Hermes!) und Verbrecher aber doch einiges an Charisma und psychologischer Einfühlung schuldig. Hier hätte man sich vom Drehbuch etwas mehr deutende Unterstützung gewünscht, wenn Krull als moderner Held des Social-Media-Zeitalters und der zerfließenden sozialen wie geschlechtlichen Identitäten begriffen werden soll. Die Betonung seiner Gentleman-Rolle (ein ehedem emanzipatorischer Begriff zwischen Bürgertum und Adel) erscheint da nicht ganz up to date.

Ein Sehnsucht erregendes Fragment

Und das Finale fantastico? Die Offenheit des Endes entspricht zwar der Romanvorlage, doch hätte man sich gerade hier mehr Mut zur interpretatorischen Festlegung vorstellen können. Schließlich beginnt Krull seine „Bekenntnisse“ bei Thomas Mann im Gefängnis – und wie er dahin gekommen ist, hätten man sicherlich gerne erfahren. So bleibt der Stoff in den Worten des Meisters wohl weiterhin „ein unendliche Sehnsucht erregendes Fragment“.

Karsten Essen, FILMDIENST