Filmkritik

Di 13. August 17.30 und 20 Uhr
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All my Loving

Drama

Regie: Edward Berger

mit: Lars Eidinger (Stefan Hoffmann) · Hans Löw (Tobias Hoffmann) · Nele Mueller-Stöfen (Julia Hoffmann) · Manfred Zapatka (Pit Hoffmann) · Christine Schorn (Ebba Hoffmann)

Deutschland 2019 | 116 Minuten | ab 12

Drei Geschwister zwischen Mitte 30 und Mitte 40 haben wenig miteinander zu tun, wenn es nicht gerade darum geht, ihre Eltern zu betreuen. Alle drei sind scheinbar fest in ihren bürgerlichen Alltag eingespannt, doch immer deutlicher treten Enttäuschungen und Beschädigungen zu Tage. Als Triptychon angelegtes Drama, in dem sich drei Charakterstudien kriselnder Menschen zum Porträt einer Generation addieren, die sich in der Mitte des Lebens verloren wähnt. - Ab 14.

Langkritik:

Drei Geschwister erfahren in der Mitte des Lebens den Verlust von Sicherheiten und bürgerlichen Standards. Ein als Triptychon angelegtes Drama über eine Generation, die sich in ihren besten Jahren verloren wähnt.

Bevor „All My Loving“ zum Triptychon wird, dessen Akte sich nacheinander den drei Hauptfiguren widmen, werden die Geschwister Stefan, Julia und Tobias zusammen eingeführt. Der Schauplatz, ein Restaurant mit austauschbarem Chic wirkt dabei gleichsam wie eine Bühne. Stefan, der älteste Bruder, sitzt schon da – etwas verdunkelt, er ist noch nicht in seiner Rolle –, als zunächst Tobias und wenig später Julia eintreffen oder eher: auftreten. Stefan gibt sich weltmännisch. Als Pilot kennt er die guten Hotels in Turin und anderswo, die Burrata bestellt er mit angeberischer Routine. Julia muss gleich wieder weg, den Mantel zieht sie erst gar nicht aus – „Bruno“ warte im Auto. Tobias hat drei Kinder und schreibt seit Ewigkeiten an seiner Diplomarbeit; der „immer ich“-Vorwurf steht ihm schon ins Gesicht geschrieben, ausgesprochen wird er aber trotzdem.

Grund des Treffens ist der Vater. Er hat seinen Pfleger vergrault und weigert sich, den Arzt aufzusuchen. Die Aufgabe, gelegentlich nach den Eltern zu schauen, bleibt am Jüngsten hängen; als Hausmann hat er ja immer Zeit. Denn: Julia fährt mit ihrem Mann nach Turin. Und Stefan muss derweil Bruno betreuen – ihren Hund.

Verlusterfahrungen und unerfüllte Wünsche

Die Schablonenhaftigkeit, mit der das Drehbuch von Edward Berger und Nele Mueller-Stöfen im Prolog die Figuren skizziert, wird „All My Loving“ (der Titel eines schönen „Beatles“-Songs) bis zum Ende nicht los. „Eine Geschichte von drei Geschwistern“ nennt sich der Film im Untertitel. Letztlich geht es aber weniger um die Geschwisterverhältnisse und welche Rollen Julia, Tobias und Stefan innerhalb des Familiengefüges einnehmen, als vielmehr um die Erschütterungen, denen sie in ihrem (bürgerlichen) Selbstverhältnis ausgesetzt werden. Sie haben mit Verlusterfahrungen und unerfüllten Wünschen zu tun.

Porschefahrer Stefan darf nicht mehr fliegen, seitdem er an Schwindel und Gehörverlust leidet. Seine (vor allem: männliche) Identität hängt aber an der Rolle des unabhängigen Weltbürgers, der heute hier, morgen dort und für jeden One-Night-Stand zu haben ist. Da er um die Strahlkraft seines Berufs bei den Frauen weiß (vom Imageverlust durch den Billigtourismus kann hier keine Rede sein), zieht er seine Uniform einfach weiterhin an und spielt an der Hotelbar den Piloten. Wie ausgehöhlt seine Rolle ist, fällt ihm erst auf, als alle anderen ihn längst peinlich finden – vor allem seine Teenager-Tochter Vicky.

In Turin ist eine andere Fassade am Bröckeln. Julia stürzt sich mit mütterlichem Übereifer auf einen verletzten Straßenhund, ihr Mann wird dabei zum bedröppelten Zuschauer eines hochneurotischen Szenarios, das sich allzu deutlich als Ersatzhandlung zu erkennen gibt. Berger lässt sie zudem so nah an der Grenze zur Lächerlichkeit agieren, dass man kaum Empathie für die traumatisierte Frau aufbringt.

Das Elternhaus als Baustelle

Im dritten Teil findet Tobias, der die Kinderbetreuung vorübergehend an seine berufstätige Frau abgegeben hat, sein Elternhaus als Baustelle wieder. Während der tyrannische Vater körperlich immer mehr abbaut, lässt die Mutter das Haus renovieren. Tobias hält sich in dem Chaos für unverzichtbar, doch seine Helferattitüde kommt eher schlecht an. Vor allem beim Vater, der ihn verachtet, weil er kein eigenes Geld verdient. Die Metaphorik ist auch hier etwas durchsichtig; dennoch wirkt dieser Teil deutlich offener und trotz der morbiden Stimmung geradezu luftig – nicht zuletzt dank zahlreicher situationskomischer Momente.

Am Ende addieren sich die Krisen der Geschwister zum Porträt einer Generation, die in der Mitte ihres Lebens fast wieder am Anfang steht. Der Epilog schließt „All My Loving“ wie ein Vorhang. Es ist ein luftdichter Abschluss.

Esther Buss, FILMDIENST