Filmkritik

Di 23. Juli 17.30 und 20 Uhr
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Nur eine Frau (2019)

Drama

Regie: Sherry Hormann

mit: Almila Bagriacik (Aynur) · Rauand Taleb (Nuri) · Meral Perin (Deniya) · Mürtüz Yolcu (Rohat) · Armin Wahedi (Aram)

Deutschland 2019 | 97 Minuten | ab 12

Am 7. Februar 2005 wurde in Berlin die Deutschtürkin Hatun Sürücu auf offener Straße von einem ihrer Brüder erschossen, weil sie sich nicht an die engen Regeln ihrer Herkunftswelt hielt. Der in seiner akribischen Recherche fast dokumentarisch anmutende Spielfilm rekonstruiert die Hintergründe des „Ehrenmordes“ und porträtiert eine lebenslustige, enorm starke junge Frau und Mutter, die „wie eine Deutsche“ lebte, was ihre patriarchalische Familie nicht hinnehmen wollte. Das in der Hauptrolle und bis in kleinste Nebenrollen vorzüglich gespielte Drama strahlt eine rohe, kämpferisch-kreative Kraft aus und findet für die wechselnde Emotionen der jungen Frau überzeugende Bilder sowie eine stimmige musikalische Untermalung. Ein gelungener, seinem Thema ebenso engagiert wie sensibel begegnender Film. - Sehenswert ab 14.

Langkritik:

Kämpferisch-kreatives Drama um den „Ehrenmord“ an der 23-jährigen Deutschtürkin Hatun Sürücü, die 2005 in Berlin auf offener Straße von einem ihrer Brüder erschossen wurde.

Das vorherrschende Gefühl ist Wut. Dieses Gefühl ist von Anfang an da – und verschwindet nicht mehr. Denn ein Happy End hat „Nur eine Frau“ nicht zu bieten, so sehr sich dessen Hauptfigur auch abstrampelt. Der Film erzählt die wahre Geschichte von Hatun Sürücü, die 2005 mitten in Berlin im Alter von 23 Jahren von ihrem jüngsten Bruder erschossen wurde. Ihr Vergehen war, dass sie „wie eine Deutsche“ lebte.

Regisseurin Sherry Hormann rollt nach dem akribisch recherchierten und fast dokumentarisch anmutenden Drehbuch von Florian Oeller den Fall auf, der in Deutschland das Thema „Ehrenmorde“ in den Fokus der Öffentlichkeit rückte. Die Wut, die Regisseurin und Autor bei ihrer Beschäftigung mit dem Thema mutmaßlich ergriffen hat, münzen sie in kämpferisch-kreative Energie um. „Nur eine Frau“ strahlt eine rohe Kraft aus und kommt mit großer Wucht daher. Darin ähnelt er seiner Hauptfigur Hatun Sürücü, die sich „Aynur“ nennen ließ und als sehr selbstbewusste, eigenständige, starke Frau gezeichnet wird.

Ein freies, kopftuchloses Leben

Ohne diese Eigenschaften wäre Aynurs Geschichte auch nicht denkbar. Wie unendlich viel Kraft es gekostet haben muss, nach einer Zwangsheirat mit 16 Jahren schwanger aus einer gewalttätigen Ehe zu fliehen, sich aus der geistigen wie räumlichen Enge ihrer Herkunftsfamilie zu befreien, einen Wohnheimplatz für sich und den kleinen Sohn zu organisieren, den Jungen alleine großzuziehen, nebenbei zu jobben und eine Ausbildung zu absolvieren. Dazu kommen die Morddrohungen, Nachstellungen und Beleidigungen der eigenen Brüder, die die „Familienehre“ beschmutzt sehen, weil ihre Schwester ein selbstbestimmtes, freies, kopftuchloses Leben jenseits der patriarchalischen Konventionen ihrer Herkunftskultur führt. Trotzdem sucht Aynur immer wieder den Kontakt zu ihrer Familie und lässt den Gesprächsfaden mit Mutter, Schwestern und selbst den Brüdern nicht abreißen. Dieser Spagat lässt Aynurs Stärke schon fast übermenschlich erscheinen.

Als sie am Abend des 7. Februar 2005 ihren Bruder Nuri auf dessen Wunsch hin zu einer Bushaltestelle begleitet, schießt er ihr ins Gesicht. „Das Gesicht der Schande wird ausgelöscht, und in dem Moment erhält die Familie ihr Gesicht zurück“, interpretiert Aynur das selbst, die das Geschehen aus dem Off in der Rückschau kommentiert. Ihre häufig ziemlich flapsigen Anmerkungen sind voller Spott und Sarkasmus, verleugnen aber nicht den todtraurigen Kern: Aynurs Wissen, als Frau in einer patriarchalischen Kultur letztlich keine Chance zu haben.

Es gibt keine geschlossene türkische „Community“

Die in der Türkei geborene und in Deutschland aufgewachsene Schauspielerin Almila Bagriacik spielt Aynur mit großer Leidenschaft und Natürlichkeit und führt damit ein bis in kleinste Nebenrollen herausragendes Schauspielensemble an. Eine Hagiografie wird dennoch nicht kreiert: Aynur ist, jenseits ihrer schier unendlichen Widerstandskraft, eine ganz normale junge Frau, die auch mal schroff sein darf. Nicht „normal“ ist hingegen die repressive Mentalität, in der sie aufwächst: Ihre Eltern sind sunnitische Kurden, die in den 1970er-Jahren aus Ostanatolien nach Berlin kamen.

Dass die Familie Sürücü auch unter den Berliner Türken als besonders streng und rückständig auffällt und dass es so etwas wie eine homogene türkische oder gar homogene muslimische Community gar nicht gibt, rückt der Film beiläufig, aber prägnant ins Bild. Unüberseh- oder überhörbar ist die enge geistige Welt, in der Aynur und ihre Geschwister aufwachsen: anhand der viel zu engen Wohnung, in der die große Familie lebt, oder anhand der „Männergespräche“ im düster-bedrückenden Wohnzimmer und in der Moschee, in der sich Nuri und seine Brüder radikalisieren.

Die Kamera von Judith Kaufmann treibt analog zu Aynurs Gefühlszuständen das Geschehen vorwärts: häufig gehetzt, nervös, angespannt, manchmal aber auch unbekümmert und hoffnungsfroh. Gelungen ist auch die von Fabian Römer und Jasmin Shakeri zusammengestellte Musik. So finden in der Szene, in der Aynur ihr Kopftuch ablegt, ihre aufgewühlten Emotionen mit stampfender Musik und grün-gelb flackerndem Licht auf der Bild- wie der Tonebene einen überzeugenden Widerhall. Ähnlich effektiv ist auch der Einsatz von Fotografien, die den Filmfluss immer wieder mit farbreduzierten Aufnahmen zum Innehalten zwingen, den Gefühlen der Zuschauer einen Ruhepunkt geben, aber auch den Chronik-Charakter und das Dokumentarische der Produktion betonen. Ein intensiver, auf allen Ebenen gelungener, ebenso engagierter wie sensibler Film.

Katharina Zeckau, FILMDIENST