Filmkritik

Di 9. Oktober 17.30 und 20 Uhr
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Am Strand

Drama

Regie: Dominic Cooke

mit: Saoirse Ronan (Florence Ponting) · Billy Howle (Edward Mayhew) · Emily Watson (Violet Ponting) · Anne-Marie Duff (Marjorie Mayhew) · Samuel West (Geoffrey Ponting)

Großbritannien 2017,ab 12, 110 Minuten

Ein junger Mann und eine junge Frau verbringen ihre Hochzeitsnacht 1962 in einem Hotel im englischen Dorset. Doch ihre körperliche Annäherung verkrampft zusehends; während der Mann mit seiner Erregung kämpft, friert die Frau immer mehr ein. Das Paar scheitert allerdings nicht an seinen sozialen oder ökonomischen Unterschieden, sondern an sexueller Unerfahrenheit und dem Fehlen einer Sprache der Liebe. Das nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwans inszenierte Liebesdrama entfaltet die Entfremdung der Liebenden als lange kammerspielartige Hotelszene. In Rückblenden zeichnet sich unscharf ein Gesellschaftsporträt der beginnenden 1960er-Jahre ab.

Langkritik:

Ein erster Dialog zwischen Florence und Edward über Musik ist trotz aller Dissonanzen ein harmonischer Ping-Pong. E-Akkord, Subdominante, B-Dur, Elvis, Chuck Berry und „dieser Hank-Typ“: Die Nennung von Tonarten, Akkorden und Namen fließt fast geschmeidig zwischen Klassik und Rock’n’Roll. Edward liebt den Rock’n’Roll. Und Florence liebt Edward, und Edward liebt Florence. „Du bist die spießigste Person der ganzen westlichen Hemisphäre“, stößt er einmal entzückt aus.

Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ian McEwan erzählt von einem Hochzeitstag im Jahr 1962. Das Paar ist plötzlich allein mit sich und dem Gewicht einer gemeinsamen Zukunft. Allein auch mit den unerfahrenen Körpern, die sich nicht auszudrücken wissen. In einem Hotel am Strand von Chesil Beach im englischen Dorset kommt es so zu einer katastrophischen „Hochzeitsnacht“, in der von Anfang an der Takt nicht stimmt. Füße krallen sich in den Boden, Hände krampfen sich zusammen, unerträglich lange Redepausen breiten sich schon beim Essen im Hotelzimmer zwischen den beiden aus. Während der verstockten Annäherung des Paars blendet der Film immer wieder zurück in die Vergangenheit, zur ersten Begegnung bei einer Versammlung von Atomwaffengegnern, der beginnenden Verliebtheit und den unterschiedlichen Elternhäusern, die sie geprägt haben: Florence ist die Tochter einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, Edward der Sohn von Kleinbürgern – und einer gehirngeschädigten Mutter. Doch entgegen der Konventionen des klassenüberschreitenden Liebesdramas ist es nicht das soziökonomische Gefälle, das zwischen dem jungen Paar steht, auch wenn die Eltern von Florence noch so hochnäsig auf den künftigen Schwiegersohn herabsehen. Es ist die Sexualität. Und, ein halbes Jahrzehnt vor der sexuellen Revolution: das Fehlen einer Sprache dafür.

„Frauen sind wie Eingänge. Männer können durch sie hineinkommen“, paraphrasiert Florence einmal angewidert ein Sex-Handbuch mit dem Titel „Love, Sex & Marriage“. Während Edward mit seiner steigenden Erregung ringt, friert Florence immer mehr ein; in einer Kindheitsszene gibt es einen vagen Hinweis auf einen Missbrauch.

Der britische Regisseur Dominic Cooke kommt vom Theater, „Am Strand“ ist sein Kinodebüt. Formal ist der Film ein wenig behäbig. Ihre Energie investiert die Regie hauptsächlich in die Inszenierung der beiden Schauspieler Saoirse Ronan und Billy Howle. Und so lange der Fokus auf der mitunter fast mikroskopischen Beobachtung ihrer sozialen Interaktion liegt, schaut man dem Paar, das sich mit jedem Schritt der körperlichen Annäherung immer weiter voneinander entfernt, mit einigem Interesse zu.

Allerdings erzeugt die Abfolge von Hotelzimmerszene und Rückblende eine ziemlich öde Dramaturgie. Auch gelingt es dem Film nicht, die beiden Ebenen überzeugend miteinander zu verschränken. Der Blick zurück dient allein der Herkunftsgeschichte der Figuren, er eröffnet keine gesellschaftliche Perspektive, auch wenn sich der Film durchaus als ein Gesellschaftsporträt der beginnenden 1960er-Jahre versteht. Wie sehr „Am Strand“ an den Konventionen des Liebesdramas hängt, kommt vor allem in dem vor Sentimentalität triefenden Ende zum Vorschein.

Esther Buss, FILMDIENST