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Filmkritik

Di 26. September 17.30 und 20 Uhr
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Monsieur Pierre geht online

Komödie

Regie: Stéphane Robelin

mit: Pierre Richard (Pierre), Yaniss Lespert (Alex), Fanny Valette (Flora), Stéphane Bissot (Sylvie), Stéphanie Crayencour (Juliette), Gustave Kervern (Bernard), Macha Méril (Marie), Pierre Kiwitt (David), Philippe Chaine (Produzent), Anna Bederke (Madeleine)

Frankreich/Deutschland/Belgien, 2017, 101 min.

Prädikat: besonders wertvoll

Ein zurückgezogen lebender 80-Jähriger erhält von seiner Tochter einen Computer und findet wider Erwarten Gefallen an ihm, vor allem auch weil er über ein Online-Portal Kontakt zu einer einsamen Frau aufnimmt. Ein Rendezvous mit ihr erweist sich freilich als schwierig, weil er sich mit Alter und Bild seines jungen Computerlehrers angemeldet hat.

Langkritik:

Die moderne Gesellschaft mit ihrer tückischen Technik und Pierre Richard – das war im Kino immer eine hochexplosive Kombination. An der versponnenen, tollpatschigen Art des lockenköpfigen Komikers konnten in seinen Hochphasen ganze Branchen verzweifeln, wenn er ihre kalte Zweckausrichtung kreativ unterwanderte. Das schwingt auch jetzt mit, wenn Pierre Richard als 80-jähriger Witwer in „Monsieur Pierre geht online“ erste Erfahrungen mit der Computertechnologie und dem Internet macht.

Obwohl er bereit ist, sich auf die Technik einzulassen, kommt es zu Missverständnissen, etwa wenn Monsieur Pierre den Computer-Sprachgebrauch („Öffnen Sie ein Fenster!“) falsch versteht oder über den Sinn der seitlichen Schlitze am Laptop rätselt. Auf diese Weise kommentiert der Film durchaus amüsant, was für im Grunde recht eigenartige Gerätschaften im digitalen Zeitalter zu Alltagsgefährten geworden sind.

Unter der Regie von Stéphane Robelin scheint Pierre Richards körperbetonte Komik nur noch in feinen Andeutungen auf. Die markanteste Gemeinsamkeit mit seinen früheren Figuren ist die Starrköpfigkeit, mit der er seine Umwelt vor den Kopf stößt. Seit dem Tod seiner Frau verbringt er seine Tage zuhause mit alten Super8-Aufnahmen, Rotwein und Essen aus der Dose. Tochter Sylvie kümmert sich zwar um den alten Griesgram, doch ihre Geduld ist nahezu aufgebraucht. Eine Einführung ins Internet dient neben der Selbstentlastung noch einem weiteren Zweck: dem neuen Freund ihrer Tochter Juliette, einem ebenso erfolg- wie antriebslosen Autor, eine sinnvolle Tätigkeit zu verschaffen.

Pierre ahnt nichts davon, als er den Computerlehrer widerwillig akzeptiert und kräftig über den ihm unbekannten Partner seiner Enkelin herzieht. Für den zurückhaltenden Alex geraten die Stunden mit dem Alten so zur unangenehmen Angelegenheit, zumal er sich bald als Mitwisser eines pikanten Geheimnisses fühlen darf: Der einsame Pierre hat die Online-Dating-Portale entdeckt und auf der Suche nach einfühlsamen Frauen Antwort erhalten. Allerdings hat er sich in seinem Profil 50 Jahre jünger gemacht und dazu ein Foto von Alex eingestellt; dass die 31-jährige Flora ihn treffen will, kann er deshalb nicht nur auf ihren Schriftverkehr zurückführen.

So geht es schließlich mit Alex als seinem Stellvertreter zum Rendezvous nach Brüssel, wo sich Flora als ebenso liebesbedürftig wie charmant erweist. Ganz gegen seine Art verliebt sich Alex Hals über Kopf, klärt den wahren Sachverhalt jedoch bis zur Abreise nicht auf. Entsprechend entstehen neue Probleme: Alex fühlt sich schuldig, Pierre reagiert eifersüchtig und ist noch längst nicht bereit, seine Träume von einer Beziehung mit der schönen jungen Frau aufzugeben.

Die Verwicklungen und Fehlschlüsse sind absehbar und werden mit einigen originellen, aber auch vielen lahmen Einfällen präsentiert. Das gemächliche Tempo, das anfangs noch gut zur bejahrten Hauptfigur passt, wird im zweiten Teil zunehmend behäbig, was den Pointen viel an Wirkung raubt. Auch verrät der Film eine ziemliche Ratlosigkeit, wie er Pierres Begierde nach einer nicht mal halb so alten Frau verstanden wissen will: Für einen „dirty old man“ ist er zu sehr als Charmeur alter Schule gezeichnet (und Pierre Richard einfach zu sympathisch), allerdings lässt die Bereitschaft zu Lüge und Täuschung sein Verhalten nicht wie eine alters- und einsamkeitsbedingte Verirrung wirken.

Das fällt umso mehr auf, als Flora durch das intensive Spiel von Fanny Valette zur einprägsamsten Figur wird: eine zärtliche, nach dem Tod ihres vorherigen Freundes traumatisierte und schutzbedürftige Frau, der die Inszenierung mit nicht gerade zwingender Logik nur die Alternative zwischen einem der beiden Männer lässt, die sie belogen haben. Während die Handlung auf das obligatorische Happy End zusteuert, wünscht man sich mehr und mehr, dass der Film für ihre Lage genauso viel Anteilnahme entwickelt hätte wie bei der Inszenierung seines verehrten Hauptdarstellers.

Marius Nobach, FILMDIENST 2017/13