LINSE - Lichtspielkunst in Segeberg

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Filmkritik

Di 20. Juni 17.30 und 20 Uhr
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Neo Rauch - Gefährten und Begleiter

Dokumentarfilm

Regie: Nicola Graef

Deutschland, 2016, 105 min.

Dokumentarische Annäherung an den Maler Neo Rauch, der als Protagonist der Neuen Leipziger Schule weltweit gefragt ist. Im ersten Teil schaut die Kamera dem eher wortkargen Künstler im Atelier über die Schulter, später sprechen Kunstsammler über ihre Leidenschaft für Rauchs Bilder, am Ende kommt Biografisches ins Spiel, die Kindheit in der DDR, der frühe Tod der Eltern sowie die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Rosa Loy. Der sympathisch-stille Eigenbrötler entzieht sich dabei in gewisser Weise der konventionellen Zurichtung des filmischen Mediums, was der Film geschickt als eine Art produktives Scheitern zu seinem Vorteil nutzt.

Langkritik:

Nur allzu gerne würde man bei dem gar nicht so alten, aber aktuell sehr populären Genre des dokumentarischen Künstlerporträts einen Blick hinter die Kulissen werfen. Wie kommt es zum Kontakt zwischen Filmemacher und Künstler? Welche Absprachen existieren? Welche Ansprüche der Filmemacher werden vom Porträtierten explizit verweigert? Was wird stattdessen angeboten, um den Film final auf die abendfüllende Länge zu bringen? Es funktioniert nicht länger, dem Künstler stumm bei der Arbeit zuzuschauen und dabei vielleicht einen Moment des Genialen zu erhaschen. So wie einst Henri-Georges Clouzot in „Le Mystère Picasso“ (fd 563).

Die Ansprüche sind seither gewachsen, auch demokratischer geworden. Die Künstler müssen schon ein wenig mehr anbieten, kluge Gedanken, eine interessante Biografie oder etwas Mysterium, gerne auch verpackt in Arroganz. Oda Jaune, Jörg Immendorf, Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Anselm Kiefer haben es vorgemacht, Eva Hesse und Joseph Beuys konnten sich dem Zugriff posthum nicht mehr entziehen.

Und jetzt also Neo Rauch, mittlerweile weltberühmter Protagonist der Neuen Leipziger Schule. Der lässt sich von Nicola Graef im Atelier über die Schulter schauen, zu seiner Kunst und Biografie befragen oder auf dem Weg zum Atelier von der Kamera begleiten. Aber dann ist es auch mal genug! Rauch bei der Arbeit an seinen sehr anspielungsreichen, kryptisch-großformatigen und gegenständlichen Formaten zu beobachten, entspricht nicht gerade dem Anforderungsprofil eines Dokumentarfilms. Versonnen und versunken agiert der Künstler, der offenbar in Zwiesprache mit der Leinwand Lösungen findet oder Lösungen verwirft, bis die Arbeit am Gemälde abgeschlossen ist. Bis dahin kann es sein, dass ein Bild auf dem Weg schon mal als „krank“ empfunden wird.

Lässt sich Rauch auf ein Gespräch ein und steht Rede und Antwort, fällt sein Hang zum mäandernden Metaphorisieren auf, verbunden mit einer Sprache, die sich auf reizvoll-charmante Weise einer betont anachronistischen Semantik bedient. Angesprochen auf ein Bild seiner früh und sehr jung verstorbenen Mutter, das gut sichtbar im Atelier platziert ist, erklärt Rauch: „Wenn es mir am Ideenzustrom gebricht, dann richte ich einen flehentlichen Seufzer in ihre Richtung. Mitunter wird er dann auch erhört.“ Diese Sprache ergänzt bestens das immer leicht in sich versunkene Auftreten des Künstlers, das sich auch im Sonambulen seiner Figuren spiegelt, die keinen „verschwitzten Realismus“ (Rauch) repräsentieren sollen. Dazu passt ein Auftritt bei einer Ausstellungseröffnung in New York, wo Rauch eher schamhaft auf die Avancen eines Fans reagiert. So, wie er wenig später schamhaft auf das Schmatzen seines Hundes reagiert.

Vielleicht in der Sorge, genügend Material zu bekommen, besucht die Filmemacherin auch einige Sammler von Rauchs Kunst, die ihre Objekte präsentieren und etwas dazu sagen dürfen. Leider bleiben die Ergebnisse dieser Befragungen so bestürzend banal wie die Einrichtungen der Wohnungen geschmacklos. Immerhin erahnt man, wie das Bild vom „deutschen Künstler“ noch immer die Fantasie beflügelt. Zum Glück gibt es einen italienischen Sammler, der nicht nur Literaturwissenschaft studiert hat, sondern seine Faszination für Rauchs Kunst auch auf den Punkt zu bringen versteht. Sie sei wie eine fortlaufende Erzählung und wie ein Träumen mit offenen Augen.

Erst auf der Zielgeraden nimmt der Film intellektuell etwas Fahrt auf, wenn er die eigentümliche Künstlerbeziehung zwischen Rauch und seiner Frau Rosa Loy beschreibt, die seit Jahrzehnten gewissermaßen Rücken an Rücken arbeiten und als bestens eingespieltes, einander ergänzendes Team agieren. Biografisches kommt ins Spiel, die Kindheit in der DDR und schließlich auch eine spezifische Form von Heimatverbundenheit, die zu dem Eigenbrötler Neo Rauch passt. Der weiß zwar um die Preise für seine Kunst, kann deren Wert aber nicht in Worte fassen.

Statt der filmischen Reisen nach Miami oder Südkorea hätte man sich ein paar mehr jener Szenen gewünscht, in denen die Filmemacherin beschreibt, was sie in den Bildern erkennt, um dann von Rauch freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen zu werden, dass jedes noch so kleine Detail eine Bedeutung haben könnte, die man besser nicht übersieht. Und sei es die Abbildung von Arbeitshandschuhen, mit denen er malt – und die einen unmittelbaren Kontakt zwischen den Figuren nicht erlauben. Was seine Beziehung zu den früh verstorbenen Eltern auf den Punkt bringt.

Spannend zu sehen, wie jemand sich auf die Dauer von 105 Filmminuten jeder konventionellen Zurichtung durch das Filmmedium verweigert und sich nicht für den Effekt der Zugänglichkeit verfügbar macht. Und sympathisch, dass der Film mit seinem produktiven Scheitern nicht hinter dem Berg hält.

Ulrich Kriest, FILMDIENST 2017/5