Drama Kriminalfilm
Regie: David Mackenzie
mit: Jeff Bridges (Marcus Hamilton), Chris Pine (Toby Howard), Ben Foster (Tanner Howard), Gil Birmingham (Alberto Parker), Katy Mixon (Jenny Ann), Dale Dickey (Elsie), Kevin Rankin (Billy Rayburn), Marin Ireland (Debbie Howard)
USA, 2016, ab 12, 102 min.
Zwei Brüder aus West-Texas wollen durch Banküberfälle an Geld gelangen, mit dem sie ihre Hypotheken bezahlen und den Zugriff der Kreditinstitute auf ihr Land verhindern können. Der vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Wirtschaftskrise angesiedelte moderne Western verbindet Genreelemente mit einem kritisch-sarkastischen Blick auf die ländlichen USA nach dem Bankencrash 2008. Spannend, ironisch und enthüllend zugleich, wirft der vorzüglich inszenierte und gespielte Film ein scharfes Schlaglicht auf die drohende Relativierung von Gesetz und Moral in einer von Verzweiflung diktierten sozialen Situation. - Sehenswert
Die Wirtschaftskrise des Jahres 2008 hat in den USA ihre Spuren hinterlassen, die einem auf Schritt und Tritt begegnen. Aber es hat Zeit gebraucht, bis sie im amerikanischen Filmschaffen sichtbar wurden. Filme wie „Der große Crash – Margin Call“ (fd 40 663) „The Big Short“ (fd 43 621) und „99 Homes“ (fd 43 874) verfolgten die Konsequenzen des wirtschaftlichen Erdbebens schließlich mit einer aufrüttelnden Mischung aus Zorn und Ironie.
Noch mehr Zeit hat es gebraucht, bis ein Film ins weniger dicht bevölkerte amerikanische Hinterland vordringt, zum Beispiel in die weiten Ebenen von West-Texas, wo einst reiche „Cattle Ranchers“ einen Wohlstand begründeten, der den räuberischen Praktiken der Kreditinstitute ebenso wenig standhielt wie die scheinbar unantastbaren Industrien im Osten des Landes.
Taylor Sheridan, der schon in seinem Drehbuch für den Drogenthriller „Sicario“ (fd 43 380) eine erstaunlich analytische Perspektive der Verbrechensbekämpfung an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze geliefert hat, transponiert in „Hell or High Water“ die Konventionen des Western in die Gegenwart und gewinnt ihnen eine ungewohnte Blickrichtung ab. Und der britische Regisseur David Mackenzie lässt sich kompromisslos darauf ein, die letztlich auf die Grundformel von Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ (fd 15 130) zurückführbare Story des Films so zu kondensieren, dass sie zu einer bitter-ironischen Demonstration der Machtverhältnisse in dem einst von Indianern, dann von Viehbaronen und Öl-Milliardären, schließlich von den Banken beherrschten Landstrich geworden ist.
Erzählt wird von Toby und Tanner, zwei Brüdern, die wahrlich keine weißen Westen haben, deren Colts aber hauptsächlich deshalb so locker sitzen, weil sie nicht länger zusehen wollen, wie ihnen ihr Land unter den Füßen weggezogen wird. Nicht viel anders als es einst den Comanchen erging, fällt jetzt ihnen die Rolle der Verlierer zu. Sie mögen im Sinne von Gesetz und Ordnung Verbrecher sein, aber sie halten daran fest, dass sie ein Recht haben, den Wohlstand ihrer Kinder, wenn nötig, mit den eigenen Händen zu verteidigen. (Ganz nebenbei liefert „Hell or High Water“ auch ein paar Einblicke in die oft schwer verständlichen Motive des aktuellen Streits um das Recht des privaten Waffenbesitzes.)
Die Bank will Toby und Tanner das Land nehmen, weil sie ihre Hypothek nicht abzahlen können. Nur Toby weiß, dass unter seiner Erde Öl zu finden ist und dass es sich deshalb lohnt, auch mit radikalen Mitteln um sein Eigentum zu kämpfen. Es ist die Logik der Rebellen, die Toby und Tanner dazu treibt, sich das fehlende Geld genau bei denen zu holen, die sie für den Niedergang ihrer Heimat und ihrer Lebensweise verantwortlich machen: bei den Banken.
Gesetz und Moral sind zwielichtige Kategorien in diesem West-Texas, wie selbst der wenige Wochen vor seiner Pensionierung stehende Texas Ranger zugestehen muss, der die ihm eigene Kunst, sich in die Denkweise der verfolgten Bankräuber zu versetzen, mit lässigem Zynismus garniert.
Während herkömmliche Western die Desperados, die das Recht in die eigene Hand nehmen, gern als Volkshelden verklärt haben, betrachtet sie „Hell or High Water“ aus der Distanz eines sachlichen Beobachters. Toby und Tanner sind weniger genreübliche Draufgänger als Produkte einer tief sitzenden Enttäuschung, ausgelöst durch den Zyklus wirtschaftlicher Unsicherheit und finanzieller Verzweiflung, der nach der Krise des Jahres 2008 auch scheinbar unverwüstliche Landstriche wie West-Texas erfasst hat, in denen die Uhren anders ticken und die Menschen anders denken.
Mackenzie hat als Ausländer hier wohl einen schärferen Blick als Einheimische, die in ihren spezifischen Milieus und Denkweisen groß geworden sind. Man denke nur an Wim Wenders’ „Paris, Texas“ (fd 24 765). Die Häuserfronten des kleinen Kaffs, die Interieurs der Wohnungen und Geschäfte, die Bilder der Landschaften und Straßen, die nicht einmal am Horizont ein Ende finden, geben der Handlung erst das richtige Gewicht und die nötige Authentizität. Aber es sind die Darsteller, die auch jenseits der aufheizenden Banküberfälle das Interesse für Nuancen wachhalten, durch die sich die Figuren von den gewohnten Klischees klassischer Western oder seiner psychologisierenden Nachfolger unterscheiden.
Und es sind die oft unglaublich komischen Dialoge, mit denen Taylor Sheridan die Figuren nicht nur von den üblichen Outlaws abrückt, sondern dem ganzen Film einen Ton verleiht, der beständig zwischen Realismus und Ironie balanciert.
Das eigentliche Kunststück jedoch, warum die Hintergründigkeit der Story so verblüffend gut funktioniert, ist die Erfindung der Kontrastfigur des alten Texas Rangers, den Jeff Bridges mit lustvoller Profanität und frustrierter Abgeklärtheit zu einem gleichwertigen Antipoden in einer an Gegensätzen reichen Umgebung macht.
Franz Everschor, FILMDIENST 2017/1