Filmkritik

Di 10. April 17.30 und 20 Uhr
8.jpg

Die Spur

Drama

Regie: Agnieszka Holland

mit: Agnieszka Mandat (Duszejko) · Wiktor Zborowski (Matoga) · Miroslav Krobot (Boros) · Jakub Gierszal (Dyzio) · Patricia Volny (Gute Neuigkeit)

Polen/Deutschland/Tschechien/Schweden/Slowakei 2017, ab 12, 129 min.

Wegen ihrer ausgeprägten Tierliebe eckt eine pensionierte Brückenbauingenieurin regelmäßig mit den Männern in einem abgeschiedenen polnischen Dorf an: Sie sind allesamt fanatische Jäger. Als ihre geliebten Hunde verschwinden und mehrere Männer eines rätselhaften Todes sterben, verhärten sich die Fronten zwischen den unversöhnlichen Lagern. Mal satirisch, mal feministisch akzentuierte, insgesamt aber unentschlossene Mischung aus Heimatfilm, Dorfkrimi, Öko-Thriller und zeitdiagnostischem Gesellschaftsporträt, die auch durch ihre exzentrische Hauptfigur irritiert.

Langkritik:

Die pensionierte Bauingenieurin, Hobby-Astrologin und strikte Vegetarierin Duszejko hat für jedes vorbeilaufende Wildschwein ein herzliches Grunzen übrig. Mit ihrer Empathie für die Tierwelt macht sich die exzentrische Frau in dem an der polnisch-tschechischen Grenze gelegenen Bergdorf allerdings keine Freunde. Denn der männliche Teil des Orts besteht fast ausschließlich aus fanatischen Jägern.


Die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland setzt die schießwütigen Männer in der Eröffnungsszene wie einen Mafia-Clan in Szene und betont damit die institutionalisierte Gewalt der Dorfgemeinschaft. Während sich die Kamera majestätisch in die Höhe schwingt und die Musik, satte Streicher und Bläser, zu einem bedrohlichen Crescendo anschwillt, füllt sich die Waldlichtung im Morgengrauen mit einem Geländewagen nach dem anderen. Duszejko ist eine waschechte Querulantin, die der örtlichen Polizei mit ihren permanenten Anzeigen schon lange auf die Nerven geht: „Ein junges Wildschwein ist außerhalb der Saison erschossen worden. Ich möchte einen Mord melden!“ Als ihre Hunde plötzlich verschwunden sind, gerät Duszejko außer Rand und Band. Ein Verdacht steht im Raum. Nachdem ihr Nachbar tot aufgefunden wird, sterben bald weitere Männer der lokalen Jagdgemeinde, neben deren Leichen Tierspuren entdeckt werden. Während Polizei und Staatsanwalt ihren Ermittlungen nachgehen, verbreitet Duszejko ihre eigene Theorie: die Morde seien den Tieren zuzuschreiben; die Zeit der Vergeltung sei angebrochen.


Agnieszka Holland organisiert die Erzählung nach dem Jagdkalender: Der Zeitrahmen der Geschichte erstreckt sich von Dezember bis zum August. Fast wie bei einem Abzählreim werden jeden Monat einleitend die Tierarten genannt, die zur Jagen freigegeben sind. Natürlich hält sich niemand daran. Und auch die Inszenierung erlaubt den Zuschauern keine Schonzeiten. Ständig flieht irgendein Tier durchs Bild, um kurz darauf blutig und zermatscht im Schnee zu liegen; ständig fallen Schüsse und taucht eine Leiche nach der anderen auf.


Währenddessen rast Duszejko mit ihrem Jeep durch die Gegend, um hier etwas zu melden, dort jemandem zu Hilfe zu eilen. Mit ihrer treuen Anhängerschaft, zu der eine von Männern missbrauchte Frau namens „gute Nachricht“, ein epileptischer Computerfreak, ein Spezialist für Blattkäfer und ein liebenswürdiger Nachbar zählen, formiert sie eine kleine Widerstandszelle gegen die patriarchalen Machenschaften von Politik, Kirche und organisiertem Verbrechen. Dass man von Duszejko dabei nie wirklich sagen kann, ob sie zu den wenigen Vernünftigen gehört oder vielleicht doch über alle Maßen verschrullt ist, verleiht der Figur ein (auch moralisch) ambivalentes Schillern. Gleich mehrere Fährten führen durch den Film: Heimatfilm, Dorfkrimi, Öko-Thriller, Gesellschaftsporträt, auch die Adjektive „satirisch“ und „feministisch“ könnte man den Genres hier und da voranstellen. Als Mischung ist das ziemlich verquast. Eher unentschieden laviert die Regisseurin zwischen konventionellem Fernsehkrimi und den etwas überzogen wirkenden „Production Values“ eines Thrillers mittleren Formats mit Helikopteraufnahmen und einer beträchtlichen Suspense-Maschinerie, ohne dass die Inszenierung auf den Punkt käme, auch wenn einige gegenwartsdiagnostische Beobachtungen dabei mit abfallen, etwa zur Aushöhlung des Rechtstaats, patriarchalen Strukturen, der Verstrickung von Politik und Kirche und anderes.


Am meisten erstaunt, dass Agnieszka Holland über die engen Grenzen des Plots hinaus kein eigenständiges Interesse an den Tieren hat. Sie sind entweder Opfer chauvinistisch-roher Gewalt, Objekt wissenschaftlicher Interessen oder Projektionsfläche (weiblicher) Überhöhung. Einfach nur da zu sein, zweckfrei im Schnee herumzuhoppeln, ist ihnen nicht erlaubt.

Esther Buss, FILMDIENST