Filmkritik

Di 20. Februar 17.30 und 20 Uhr
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Suburbicon

Drama

Regie: George Clooney

mit: Matt Damon (Gardner Lodge) · Julianne Moore (Margaret Lodge) · Oscar Isaac (Roger) · Noah Jupe (Nicky Lodge) · Glenn Fleshler (Ira Sloan)

USA/Großbritannien 2017, 106 min., ab 16

Während eine afroamerikanische Familie in einen Mustervorort der 1950er-Jahre zieht und rassistische Aversionen bei den Nachbarn weckt, findet im nebenan liegenden Haus einer US-Vorzeigefamilie der wahre Einzug des Verbrechens statt. Der Einbruch zweier Kleinganoven endet mit dem Tod der an den Rollstuhl gefesselten Mutter, wodurch sich moralische Abgründe auftun und der kleine Sohn verängstigt verfolgt, wie seine Familie in eine blutige Gewaltspirale gerät.

Langkritik:

Endlos reihen sich die schmucken Einfamilienhäuser aneinander, getrennt von fein getrimmten Vorgärten. Ein wie ein Werbeclip aus den 1950er-Jahren aufgemachter Vorspann preist Suburbicon als am Reißbrett entworfene Alternative zum Leben in der Metropole an: sauber, sicher und vor allem: weiß. Als normiert, isoliert, kurz als Siedlungs-(Alb)Traum der White Supremacy kann man den Vorort auch bezeichnen. In solch einer ethnischen Monokultur siedelte schon Tim Burton „Edward mit den Scherenhänden“ (fd 28 836) an, nur dass in „Suburbicon“ keine in schwarzes Leder gekleidete, bleiche Märchengestalt als Figur des Ausschlusses dient, sondern eine afroamerikanische Familie, deren weibliches Familienoberhaupt der Postbote erst einmal für das Hausmädchen hält. „Haben sie schon von den neuen Nachbarn gehört?“, fragte er sich kurz zuvor noch nichtsahnend durch die Nachbarschaft. Der Zuzug der Meyers ist dagegen eine „Unerhörtheit“, mit der die Angst vor dem kriminellen Abstieg in Suburbicon einzieht. Die besorgten Anwohner tuscheln, dann formieren sie sich zur Bürgerwehr. Immer mehr Menschen positionieren sich vor dem Haus der Meyers, um zu demonstrieren, zu singen und zu schreien. Und irgendwann anzugreifen.

George Clooneys sechste Regiearbeit will schwarz-humorige Dramödie, Familienkrimi aus Kindersicht, blutige Groteske und schneidende Gesellschaftssatire zugleich sein. Dabei gerät das Schicksal der Meyers schnell zur Nebensache: Der tatsächliche Abstieg in die Untiefen der menschlichen Existenz ereignet sich nämlich im Nachbarhaus. Die weiße Vorzeigefamilie von Finanzdirektor Gardner Lodge wird eines Nachts von einem Einbrecher-Duo heimgesucht, das die Familie mit Chloroform betäubt. Verzweifelt bleiben die Augen des kleinen Sohns Nicky auf Mutter Rose liegen, bis er selbst das Bewusstsein verliert. Seit einem von Gardner verursachten Autounfall saß Rose miesepetrig und flankiert von ihrer gesunden Zwillingsschwester im Rollstuhl. Nun liegt sie auf dem Totenbett, während sich Ehemann und Schwester familiär neu aufstellen – und dem immer misstrauischer werdenden Nicky Disziplin und Anpassung als höchstes Gut eintrichtern.

Wohin diese „Spitzendisziplinen“ des Spießers tatsächlich münden, kommt an die Oberfläche: Das Böse liegt in der bürgerlichen Kernkompetenz „Familie“, in der alles aus den Fugen gerät, während nebenan das Böse im Anderen verortet wird. Plötzlich ist der Himmel bewölkt statt sonnig. Ein holländisches Protektorat in der Karibik wird zum Sehnsuchtsort, und der Verdacht, beim eigenen Namen handle es sich um einen jüdischen, zum kleineren Übel in der homogenen Normierung. Wem das Motiv des moralisch ausfälligen Familienvaters, der sich von einigen Schmalspurganoven in eine immer brutalere Bredouille treiben lässt, dabei bekannt vorkommt, der dürfte mit dem Werk von Ethan und Joel Coen vertraut sein. Das Drehbuch zu „Suburbicon“ entsprang zunächst ihrer Feder, bevor es Clooney und Grant Heslov mit einem Bürgerrechtsverbrechen nach wahrer Begebenheit verknüpften. Während die Filme der Coens jedoch stets mit einem blutig ausgelegten Fettnäpfchen-Parcours überraschen, lassen sich bei Clooney die Wendungen meilenweit gegen den Wind riechen. So toll sich die Ausstattung auch in die 1950er-Jahre wühlt, so großartig die prominente Besetzung (besonders Oscar Isaac) auch aufspielt – die Inszenierung aus anbrandender Musik und plötzlich scharf gestellten Bildausschnitten lässt zu Vieles zu vorhersehbar geraten. Überraschend ist allein der Wille, solch eine familiäre Gewaltspirale so konsequent aus der Perspektive eines Kindes erleiden zu lassen.

Man könnte „Suburbicon“ für einen müden Abklatsch von „Fargo“ (fd 32 223) halten, in dem die Anti-Rassismus-Botschaft zur Blaupause gerät. Und doch erzählt Clooney hier auch von einer Gesellschaft, die den Verfall im Fremden befürchtet, während der Kern der Familie bereits kräftig korrodiert. Es fällt schwer, „Suburbicon“ nicht auch als Analogie zu Trump oder anderer Rechtspopulisten zu lesen, die ihren Aufstieg dem Fingerzeig auf „die Anderen“ verdanken, und dabei das „Haus“ der kommenden Generationen durch horrende Entscheidungen zu zerstören drohen.

Die Hoffnung auf eine bessere Welt ruht auf den Schultern der nachfolgenden Generation, das unterstreicht auch das Schlussbild. Es ist an den Kindern, sich über die hochgezogenen Mauern der Vorgärten hinweg die Hand zu reichen. Den in seinen narrativen Dreh- und Angelpunkten so offenkundig knarzenden Film können sie nicht mehr retten – vielleicht aber die Herzen seiner Zuschauer.

Kathrin Häger, FILMDIENST